Nichts bleibt gleich. Es gibt einen Anfang und ein Ende, dazwischen
Veränderung und Bewegung. Auf manchen wirkt das beklemmend. Aber so ist
der Lauf der Dinge, die Natur macht es uns täglich vor.
Seit fast sechs Jahren wohne ich in Hannover, aber noch nie hat es mich
nach Davenstedt verschlagen. Wie ein endlos langes Lineal schneidet sich
die Hauptstraße durch die Stadtteile. Mir ist nach allem, nur nicht nach
Lärm und Krach, endlich der Ortskern. Ich stoppe auf dem idyllisch
gelegenen Parkplatz, der zum Kleingärtnerverein „Am Davenstedter Holz“
gehört, steige aus und atme tief durch. Herrlichl Ruhe, Stille, nur
Vogelgezwitscher.
Zu Fuß geht es durch das Tor „Neues Dorf“, rechts den Weg entlang
Richtung Fahnenmast, Kiesel knirschen. Über die Hecken blicke ich in die
Gärten. Sommer ist schön, denke ich. Alles blüht und grünt, Obstbäume
ächzen unter ihrer prallen Last.
An einer Gabelung entdecke ich in einem Garten zwei Menschen. Sie hocken
in einem Meer von bunten Blumen. „Guten Tag“, sage ich. Das Paar blickt
auf, der Mann kommt an den Zaun.
Betörender Rosenduft
Wir
reden über Kleingärten, wie erfüllend es ist, einen solchen zu
bewirtschaften, und dass ich gern darüber schreiben würde. Walter
Hundertmark (68), Postbeamter im Ruhestand, blickt mich prüfend an. Im
Prinzip hätte er nichts dagegen. Aber bitte nicht die Sache durch den
Kakao ziehen. Viel zu oft wurde in den letzten Jahren über Kleingärtner
gelacht, der Ruf — völlig ruiniert. Die Rede ist von Spießbürgertum und
Kleinkariertheit, was völliger Quatsch sei. Gern will ich darüber
schreiben, verspreche ich.
Herr Hundertmark bittet mich herein. Es geht durch einen Rosenbogen, der
Duft dieser königlichen Blume betört. Ein Schritt weiter streckt und
reckt sich ein Rosenstämmchen, dick und gesund, voller Blüten. Und dort,
ein Mini-Teich, da sattgelbe Ringelblumen, lila Lilien, knallrote
Pfingst- und Stockrosen, rosa Klatschmohn, Salat, Möhren, Buschbohnen,
Brombeeren, Erdbeeren ... Ein Farben- und Formenbombardement, und das
alles auf nur 314 Quadratmetern. Ich bin überwältigt. |
„Schön haben Sie es hier“, sage ich begeistert und muss dabei über mich
selbst lächeln. Mit 18 hätte ich mir an den Kopf getippt, da fand ich
Gärten und besonders die Arbeit, die dazugehört, ziemlich, na sagen wir
mal, überflüssig. Heute, 20 Jahre später,
sehe
ich mir nach, dass ich es nicht besser wissen konnte.
Die Natur, der Garten gibt einem so viel Kraft und Freude, dieser
Anblick, dieser Duft, berauschend und beruhigend zugleich. Oft nur einen
Augenblick, denn morgen sieht alles anders aus. Da ist das Stämmchen
verblüht, die Apfel fallen herunter — Vergänglichkeit, ein für alle Mal.
Aber es geht weiter, der Garten lebt.
„Je älter man wird, desto mehr bedeutet einem ein Stück Land“, sage ich
laut. Herr Hundertmark guckt mich wieder so eigenartig prüfend an,
stimmt mir aber nickend zu.
1971 ist er mit Ehefrau Edda und seiner Tochter von der Südstadt nach
Davenstedt in eine Mietwohnung gezogen.,, Wir kommen beide vom Land, als
die Gärten 1973 erschlossen wurden, haben wir uns sofort dafür
beworben“, erzählt er. Und seine Frau Edda (64) reist in Gedanken mit,
damals, as sie die Steine für die Laube in der Schubkarre
heranschleppten, das Haus selbst aufbauten. Oder wie die kleine Tochter
regelrecht aufblühte in der Kolonie, endlich frei spielen konnte. Herr
Hundertmark hakt ein.,, Für Kinder sind Kleingärten ideal. Hier können
sie alles erleben.“
Jeder Winkel ist bearbeitet
Jeden Tag, auch im Winter, sind Herr Hundertmark und Frau im Garten.
Hinsetzen tun sie sich selten, allenfalls verweilen. „Es gibt viel zu
tun“, sagen sie fast entschuldigend. Und ich blicke mich um. Ohne
Zweifel, jeder Winkel, jedes Eckchen sind hier liebevoll bearbeitet und
gestaltet worden. Ich entdecke nicht eine verblühte Blume oder ein
verdörrtes Blatt. Alles von Hand abgezwackt.
Herr Hundertmark — 25 Jahre lang war er Fachberater für rund 170 Gärten,
seit 13 Jahren amtierender Kolonieleiter, quasi die gute Seele des
Kleingärtnervereins — sagt:
„Es ist wunderbar hier. Auch die Gemeinschaft, jeder hilft jedem. Wir
sind füreinander da. Wo findet man das noch?“ Ich bleibe ihm eine
Antwort schuldig, sicher einzigartig.
Eines wünscht sich das Ehepaar: „Es wäre toll, wenn viel mehr junge
Leute sich entschließen könnten, einen Kleingarten zu pachten.“ Der
Wechsel der Generationen, er steht an. Und mir wird klar: Leider bleibt
nichts, wie es war. Solche Kleingärtner, mit Leib und Seele, mit Fleiß
und Schweiß, mit Liebe und Lust, die wird es nicht mehr geben, oder?
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